Karriereberater Jürgen Hesse hat mit seinem Geschäftskollegen und Co-Autor Hans Christian Schrader das Buch „Mein Chef ist irre – Ihrer auch?“ geschrieben. Im Interview spricht er unter anderem darüber, warum besonders viele Männer in Führungspositionen ihre Macken besonders stark ausleben.

Warum findet man in den oberen Etagen der Unternehmen Menschen mit problematischen Persönlichkeitsmerkmalen?

Jürgen Hesse: Es geht um Macht, Ohnmacht und Angst. Bekommt ein Kind im Elternhaus vermittelt, dass es  nicht wirklich willkommen ist, entsteht ein Gefühl der Ablehnung, der Verunsicherung. Eltern geben ihre Narben und Verletzungen an ihre Kinder weiter. Dadurch legen sich Kinder einen Panzer zu, im übertragenen Sinne legen sich Menschen in Führungspositionen auch noch ein Schwert zu. Leute, die man nicht mag, werden auf Abstand gehalten. Oder man pickt sich später die Angestellten heraus, auf denen man als Chef herumhacken kann. Und von beiden Gruppen gibt es für solche Chefs viele Kandidaten.

Foto: Ullstein

Das muss doch anstrengend sein?

Das ist nicht lustig, so ein Schicksal wünscht man keinem. Wenn die anderen im Kindergarten oder in der Schule auf einem herumhacken, gibt es zwei Möglichkeiten: Man leidet oder wehrt sich. Für das spätere Berufsleben bedeutet das, dass man unter Kollegen leidet oder selbst Chef wird und dann eher andere leiden lässt.

Nehmen wir Donald Trump. Er liebt es, andere Leute öffentlich zu schikanieren

Das stimmt, aber er kann auch sehr charmant und verbindlich auftreten. Er ist kein Depp. In der Show “The Apprentice” hat er mit seinem Satz “You are fired” seine Paraderolle gefunden. Ich glaube nicht, dass er Gewissensbisse hat. Gleichzeitig erweckt er den Eindruck, dass er auf den Schoß genommen und gestreichelt werden möchte (lacht). Er sucht sich aber auch Frauen aus, die ihm das nicht bieten können. Sie mögen sehr attraktiv aussehen, aber es sind eher kühle Schönheiten. Was man liest, waren auch seine Eltern keine warmen Persönlichkeiten.

Führungskräfte können charmant und ehrgeizig sein. Sie können ein Unternehmen pushen, weil sie sehr charismatisch sind. Das macht es im Bewerbungsprozess bestimmt nicht leicht, einen Blender zu erkennen? 

Stimmt, weil sie sich gut tarnen können, meist sehr gute Schauspieler sind. Aber irgendwann merkt man,dass sie nicht annähernd halten, was sie versprechen. Blender sind oft rücksichtslos, gefühlskalt und oberflächlich.

Ein Mann oder Frau in einer Führungsposition spielt auch eine Rolle. Lässt sich die Rolle von der Person trennen? 

Es gibt Menschen, die das trennen können. Der KZ-Kommandant konnte Menschen quälen und abends als liebevoller Vater auftreten. Wir lernen von klein auf, dass wir in gewissen Rollen sind, die ein bestimmtes Verhalten abverlangen. Es gibt Menschen, die ihre Rolle nicht mehr stoppen können. Sie beleidigen, werden cholerisch. Untersuchungen haben ergeben, dass die Arbeitszufriedenheit zu 40 Prozent durch den Vorgesetzten gespeist wird. Der Chef ist wichtiger als die Kollegen und das Geld. In einer anderen Umfrage vom Dezember 2022 klagten 45 Prozent der über 3000 Befragten, dass ihnen vom Chef keine Wertschätzung entgegengebracht wird. Meckert und ignoriert der Chef einen, wird man auf Dauer todunglücklich. Ein Chef, der sich Zeit nimmt, zuhört nachfragt, macht alles, was ein Chef tun sollte. Nur leider gibt es davon zu wenige.

Wie wird man ein guter Chef?

Man muss sich vorher überlegen, welche Fehler man vermeiden will, wie man die einem anvertrauten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen  fördern möchte. Ich fordere nicht den Führerschein für Chefs, aber bei der Auswahl des Führungspersonals muss man sich mehr Zeit nehmen und viel kritischer hinschauen: Wo kommen diese Leute her, welche Werte haben sie?

Hat sich mit den Jahren etwas verändert oder gar verbessert?

Man hat das Problem erkannt. Früher durfte der Chef brüllen, hysterisch und cholerisch sein, das ist heute ziemlich verpönt. Die Firmen jammern, dass sie keine Fachleute finden. Aber die Leute sind auch müde, für ein Unternehmen zu arbeiten, in dem sie sich unwohl fühlen. In Krankenhäusern herrscht leider oft noch ein sehr autoritärer Ton, da würde ich als junger Arzt auch nicht arbeiten wollen.

Jetzt gibt es auch schwierige Frauen als Chef, aber warum haben eher Männer solche Macken? 

Frauen sind im Aufstieg durch die gläserne Decke jahrelang erfolgreich behindert worden. In den Neunzigern gab es wenige Frauen, die Karriere gemacht haben. Sie mussten 120 Prozent leisten, sich Schwert und Panzer zulegen, weil sie denselben Mechanismen in der Führungsebene unterworfen waren. Das klingt jetzt martialisch, aber Frauen sind weniger darauf getrimmt, im Duell zu schießen, auch wenn sie keine Heiligen sind. Auch hier findet man Tyranninnen, Cholerikerinnen und Narzisstinnen. In einer Untersuchung hat man Jungs und Mädchen im Kindergartenalter mit Bauklötzen eine Stadt bauen lassen. Am nächsten Tag hieß es, dass sie weiterbauen können. Die Jungs machten die Stadt kaputt und bauten komplett neu, die Mädchen entwickelten sie weiter. Und so ist das auch bei weiblicher Führung: Es geht um die Weiterentwicklung, die Hege und Pflege im Sinne von: gibt es nicht doch noch einen Weg oder einen Kompromiss, der sich erzielen lässt? Frauen können Gesichter und Gefühle deutlich besser lesen.

Kann man ein guter Chef werden?

Man kann fast alles lernen, nur nicht jeder schafft es in kurzer Zeit. Es gibt zwei Institutionen, die sich durch Führung auszeichnen: das Militär und die Kirche. Denken Sie nicht an die schwarzen Schafe, die gibt es überall. Ich kenne Menschen aus dem Militär, die sehr gut mit anderen Menschen umgehen können, die einem das Gefühl geben, wenn sie mit einem sprechen, dass man der wichtigste Mensch auf der Welt ist. Sie können zuhören, stellen die richtigen Fragen. Und wenn sie reagieren, sind sie immer klar und deutlich.

Jürgen Hesse, Foto: privat

Wenn man nicht wirklich führen will, aber trotzdem in die Position gedrängt wird, kann man eigentlich nur scheitern, wie bei Ex-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht?

Sie ist leider ein gutes Beispiel. Ihre Ungeschicklichkeiten sind nur dadurch zu erklären, dass sie keine Identifikation mit ihrer Rolle hatte. Sie hat sich ziemlich dumm angestellt, dabei ist sie bestimmt keine dumme Frau. Ihre eigenen Leute hätten sie besser beraten und schützen müssen. Man kann fast Mitleid haben, ich beneide sie nicht. Ich glaube, dass ihr Selbstwertgefühl sehr gelitten hat. Insofern ist es gut, dass sie sich aus dieser Situation befreit hat.

Jürgen Hesse und Hans Christian Schrader gehören zu den führenden Experten in der Bewerbungs- und Karriereberatung. In den letzten 35 Jahren haben sie über 250 Sachbücher zum Thema Karriere, Bewerbung und Arbeitswelt mit einer Auflage von acht Millionen veröffentlicht. 1992 gründete Jürgen Hesse sein eigenes Beratungsunternehmen mit Sitz in Berlin. Weitere Standorte befinden sich in Hamburg, Köln, Frankfurt, Stuttgart, München.

Mehr Infos unter www.hesseschrader.com

Narzisst, Tyrann, Choleriker: Warum sind so viele Chefs Psychopathen?

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