Konzerne wie Apple oder Amazon greifen tief in unser Leben ein. Der Wirtschaftsjournalist Hans-Jürgen Jakobs hat über Monopole ein Buch geschrieben. Im Interview spricht er unter anderem darüber, warum sich Deutschland eine Unabhängigkeit von China heute noch nicht leisten kann.

Herr Jakobs, Ihr neuestes Buch heißt „Das Monopol im 21. Jahrhundert: Wie private Unternehmen und staatliche Konzerne unseren Wohlstand zerstören“. Hat sich Ihr Konsumverhalten nach dem Schreiben des Buches geändert? 

Hans-Jürgen Jakobs: Ich bin in diesen Fragen noch mehr sensibilisiert worden. Die Dienste von Meta habe ich aus guten Gründen nie genutzt und ich bin damit zu Hause auch „out“ (lacht). Die Korrespondenz über WhatsApp muss ich mir von meiner Frau erzählen lassen. Ich nutze die Suchmaschine Startpage, Amazon habe ich auf null heruntergefahren. Aber vom iPhone oder iPad kommt man nicht so einfach los, auch nicht von der Dominanz von Microsoft in der Bürokommunikation, siehe Outlook, Teams oder OneDrive.

Wirtschaftsjournalist Hans-Jürgen Jakobs arbeitete u.a. für den „Spiegel“ und die „Süddeutschen Zeitung“. Seit 2013 ist er für die Verlagsgruppe Handelsblatt tätig, bis 2015 war er Chefredakteur, seit 2016 ist er Senior Editor des „Handelsblatts“. Seit 2018 ist er zudem Herausgeber des „Handelsblatt Morning Briefing“. Foto: Frank Beer

Was ist Ihre Kritik an Monopolen?

Die entstandenen Monopole sind das Ergebnis einer dramatischen Laissez-faire-Politik. Es begann in den USA unter Ronald Reagan. Das Mantra der Deregulierung bewirkte, dass man Abstand nahm von einer Wettbewerbspolitik, die die USA immer ausgezeichnet hat. Die Vertreter der Chicago School (freies Spiel der Kräfte ohne staatliche Eingriffe) setzten sich durch. Früher galt Größe als unamerikanisch, auf einmal war Größe gut. Man hat den Unternehmen erlaubt, noch größer zu werden, was zu einer sehr starken Oligopolisierung der Märkte führte.

Und keiner hat sich darum gekümmert. Ganz im Gegenteil: In einem Absatz aus dem Communications Decency Act von 1996 wurde sogar noch erlaubt, dass Techkonzerne wie Facebook, Google, Apple, Amazon und Microsoft überhaupt keine Verantwortung für die Inhalte tragen, die sie verbreiten. Sie haben zudem mit aggressiven Preisstrategien und einem räuberischen Kapitalismus die Märkte erobert und Konkurrenten ausgeschaltet. Und sie tätigten Akquisitionen in einem kaum vorstellbaren Ausmaß. Die fünf großen Techkonzerne haben in den letzten zehn Jahren 1000 Firmen gekauft. Die meisten davon gibt es nicht mehr, man nutzte ihre Patente. Ausnahmen sind beim Metakonzern Instagram und WhatsApp: Mark Zuckerberg gab beiden Unternehmen unter seiner Kontrolle die Chance, aus sich selbst heraus zu wachsen.Die Politik hat das alles laufen lassen und erst spät reagiert. Jetzt gibt es Zerschlagungsinitiativen, was Meta und Google angeht. Man muss sehen, was dabei rauskommt. 

Lassen sich Monopole überhaupt noch stoppen?

Das kritische Bewusstsein ist gewachsen, dass die Politik die wirtschaftliche Macht der Monopole zugunsten der Verbraucher begrenzen muss. In Deutschland ist man dabei, das Wettbewerbsgesetz zu verschärfen. In Europa kommen der „Digital Markets Act“ und der „Digital Services Act“ mit schärferen Regeln. Auch die amerikanische Wettbewerbsbehörde FTC arbeitet an härteren Gesetzen. Aber trotz solcher Anstrengungen herrscht eine wahnsinnige Ungleichheit der Waffen. Auf der einen Seite agieren staatliche Institutionen, die mit nicht so viel Geld ausgestattet sind, kaum Budget und zu wenig Experten haben. Man braucht im Digitalen richtige IT-Spezialisten, Nerds, die Algorithmen bewerten können. Das gibt es auf staatlicher Seite kaum. Auf der privaten Seite dagegen gibt es sehr viel Kapital, Anwälte, Lobbyisten und PR-Experten. Da sind starke Ungleichgewichte zu beobachten. Ich glaube auch, dass vielen Politikern eine gewisse Nähe zu den Chefs von Techkonzernen gefällt. Es ist ein Ausweis von Modernität, alle wollen cool und digital sein.

Welche Rolle spielt Europa?

Europa ist zwischen zwei Wirtschaftszentren eingeklemmt, die sehr stark mit Monopolen arbeiten. In China entscheidet der Staat, also die Kommunistische Partei, quasi alles. Die Monopole haben sich dort über die Jahre gebildet und geformt, beispielsweise ein Chemiekonglomerat, das kaum einer kennt. China hat in diesem Bereich einen Marktanteil von fast 50 Prozent. In den USA dominieren Techkonzerne, aber auch Finanzmächte wie BlackRock, die Billionensummen betreuen. Es gibt eine enge Zusammenarbeit zwischen Washington und diesen mächtigen Konzernen, auch vor dem Hintergrund des strategischen Wettbewerbs mit China und was die Innovation für die Militärtechnologie betrifft. Das Pentagon hat immer wieder große Aufträge an Konzerne wie Amazon oder Google vergeben. Diese Kollaboration, die wir oft nicht sehen, lässt bei mir einen Verdacht aufkommen: Wenn es hart auf hart kommt, wird die Politik in den USA nicht massiv gegen die Konzerne durchgreifen.

Auch in anderen Bereichen ist die Rolle Europas unbedeutend

Wir haben bei den Rohstoffen nichts mitzureden. Es gibt hier zwar Vorkommen, die sind aber gering. Und wenn sie ausgebeutet werden sollen, wie Lithiumvorräte in Spanien oder Portugal, kommt es zu großen Umweltprotesten. Datenkonzerne haben wir in Europa keine. Es gibt auch noch keine großartigen Ergebnisse bei dem Versuch, die Digitalisierung der Industrie entscheidend voranzubringen. Bislang liegen meist nur Pläne vor. Und die amerikanischen Techkonzerne machen sich auch gar nicht die Mühe zu verbergen, dass das auch ein interessantes Geschäftsfeld für sie ist. Auf den Gütermärkten haben wir respektable Player, aber bei den entscheidenden Feldern der Produktionsfaktoren – Daten, Rohstoffe, Kapital – sieht es schlecht aus. Und vieles, was mit Zukunftsmärkten zusammenhängt, wie Chips und Batteriezellen, kommt aus Asien. Europa hat zwar Initiativen angeschoben, die Chipproduktion zu fördern, auch werden einzelne Konzerne sehr aktiv, aber die Übermacht aus Asien ist sehr groß. Ich wage zu bezweifeln, dass wir dort eine dominante Stellung einnehmen werden. Das ist ein Problem, neben vielen anderen, das Europa hat. Europa hat einen massiven strukturellen Nachteil.

Besorgt Sie das?

Das besorgt mich sehr. Es fehlt auch ein bisschen die Kraft, zu investieren – sowie die gemeinsame Überzeugung, dass wir rasch aufholen müssen. Wir zahlen jetzt viel höhere Gaspreise aufgrund der russischen Aggression, ansonsten läuft die Wirtschaft aber noch recht gut. China ist geoökonomisch noch nicht aktiv geworden und hat uns bisher keine Rohstoffe entzogen. Es gab nur zweimal eine Situation im Herbst 2021, als China plötzlich Magnesium und Silizium nicht mehr lieferte. Das hatte hier gehörige Folgen, Bänder standen still. Es war ein Warnschuss. Wenn China richtig ernst macht und den Regler zudreht, dann sieht es für unser Wachstum sehr trist aus. 

Wirtschaftsminister Robert Habeck möchte Deutschland von China unabhängiger machen. Kann sich Deutschland das leisten?

Wir können uns das Stand heute nicht leisten. Wir waren in den letzten Jahren zu naiv, zu sorglos und haben einfach nicht mit negativen Szenarien gerechnet. Es hat nur das schnelle Geld eine Rolle gespielt. Man wollte möglichst billig, möglichst viel einkaufen und hat entsprechend in Russland und in China Großlieferanten gefunden, die das alles wunderbar erledigt haben. Ich glaube ehrlich gesagt, dass unser altes Geschäftsmodell erledigt ist, und das ist die eigentliche Crux der ganzen Geschichte. Bisher lief es so: Wir betreiben Highend-Wirtschaft, produzieren anspruchsvolle Autos und Maschinen, exportieren zu möglichst hohen Preisen und importieren aus Ländern wie Russland und China möglichst billige Rohstoffe, was dort zu Umweltschäden führt. Diese Arbeitsteilung funktioniert nicht mehr.

Wie will Europa in dieser Situation mögliche Sanktionen gegen China in der Taiwanfrage verhängen, wenn es dazu kommen sollte?

Europa kann sich keine großen Sanktionen in der Taiwanfrage leisten – noch viel weniger als im Falle Russlands. Wenn wir harte Sanktionen aussprechen würden, käme hierzulande die Wirtschaft zum Erliegen, dann liefe nichts mehr. Noch eskaliert China nicht, weil Europa als Absatzmarkt interessant ist und aufgrund des Knowhows, der Hightech-Lösungen und der Innovationen. China hat das Ziel, in der Technologie 2035 führend zu werden, das hat die Volksrepublik fest im Blick. Deswegen muss man sich vorbereiten, weil sich die geostrategische Politik verschärfen könnte und wir plötzlich nicht mehr beliefert werden. Deswegen braucht man Alternativen, mehr Souveränität, neue Allianzen, mehr Lieferbeziehungen. Das ist eine der vielen vordringlichen Aufgaben, die wir zu lösen haben. Vielleicht eine der wichtigsten.

Foto: DVA-Verlag

Das ist nicht Ihr erstes Buch. Wie läuft der Schreibprozess bei Ihnen ab?

Im Sommer 2020 habe ich begonnen, mich damit zu beschäftigen, das Thema zu umreißen, ein Konzept zu erstellen, zu recherchieren, Quellen zu besorgen. In der harten Phase, so Ende 2021 bis Mitte 2022, habe ich sehr auf meinen Lebensstil geachtet: Sport gemacht, keinen Alkohol getrunken, gesund gegessen. Das war entscheidend. So war ich in der Lage, dieses Buch neben meiner Arbeit zu bewältigen. Ich wundere mich im Nachhinein, wie das alles funktioniert hat. Aber wenn man im Flow ist, dann schreibt es sich auch leichter.

Die Fitness scheint beim Schreiben entscheidend zu sein. Das sagt unter anderem auch der japanische Bestsellerautor Haruki Murakami

Ja, das ist so. Als das Buch herauskam, habe ich viele Interviews gegeben. Es gab verschiedene Feiern. Man merkt, man kommt ein bisschen aus dem Rhythmus. Jetzt habe ich auch ein paar Kilos zu viel. Man fühlt sich plötzlich nicht mehr richtig fit. Ich möchte in den vorherigen Zustand wieder zurück, weil man einfach produktiver ist.

Die Macht der Monopole: „Europa hat einen massiven strukturellen Nachteil“

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