Das erste Buch von Emi Yagi wurde in Japan gleich ein Bestseller. Es geht darin um eine Büroangestellte, die ihre Schwangerschaft vortäuscht. Unerhört? Kommt drauf an, denn es sagt viel über die patriarchalischen Strukturen des Landes, die auch Yagi kritisiert.

Für Ihr erstes Buch „Frau Shibatas geniale Idee“ haben Sie den prestigeträchtigen „Dazai-Osamu-Literaturpreis“ gewonnen. Was glauben Sie, ist der Grund, dass sich in Japan so viele Leser für die Geschichte einer 34-jährigen Angestellten interessieren, die ihre Schwangerschaft vortäuscht?

Emi Yagi: Es gibt so viele Menschen, die in einer patriarchalischen Gesellschaft unzufrieden sind und daran verzweifeln. Die Lüge über die vorgetäuschte Schwangerschaft ist an sich keine wünschenswerte Handlung, aber für die Entscheidung der Protagonistin gibt es Gründe. In dem Unternehmen, in dem sie arbeitet, werden nur die Frauen zum Kaffeekochen oder Aufräumen gezwungen. Belästigungen an Frauen sind dort weitgehend verbreitet. Ich finde es schwierig, unter diesen Umständen die Lüge der Protagonistin einfach zu verurteilen.

Wie kamen Sie auf die Idee, diese Geschichte zu erzählen?

Yagi: Ich weiß nicht mehr, wie ich darauf gekommen bin. Ich bin jemand, der sich jeden Tag die Frage stellt: „Was wäre, wenn…?“ Die paradoxe Situation, also der einzigartige Trumpf einer Frau, die Schwangerschaft zu nutzen, um sich zu weigern, die den Frauen übertragenen Aufgaben zu erledigen, trieb mich dazu, diese Geschichte aufzuschreiben.

Wie schwierig ist das Leben für Frauen in der japanischen Gesellschaft, besonders auf dem Arbeitsmarkt?

Yagi: Frauen müssen sich mehr anstrengen, das Arbeitsumfeld ist sehr entscheidend und sie brauchen auch mehr Glück als Männer. Wenn eine Frau sexuell belästigt wird, protestiert sie oft nicht und sie verteidigt einen Mann, wenn andere Frauen von ihm belästigt werden. Solche Frauen nennen wir hier „Ehrenmänner“.

Haben Sie selbst Unannehmlichkeiten als Frau erlebt?

Yagi: Seit meiner Kindheit vergeht kaum ein Tag, an dem ich mich nicht belästigt fühle.

Was muss sich bezüglich der Behandlung von Frauen in Japan ändern?

Yagi: Es ist wichtig, dass Frauen sich zu Wort melden. Genauso wichtig ist es nicht zu versuchen, jemanden mundtot zu machen, wenn er den Mut hat, sich zu äußern. Wenn jemand in Japan seinen Schmerz zum Ausdruck bringt, den er durch die Gesellschaft erlebt, wird oft gesagt, dass derjenige egoistisch handelt, weil alle anderen so viel ertragen müssen. Es heißt dann, dass derjenige kein Aufheben um triviale Dinge machen sollte. Ich denke, es ist notwendig, den Schmerz anderer Menschen auch als Schmerz zu akzeptieren, unabhängig vom Geschlecht.

Gibt es eine Botschaft, die Sie mit diesem Buch vermitteln wollen?

Yagi: Es ist Sache des Lesers zu entscheiden, welche Art von Botschaft er erhalten möchte. Ich habe keine bestimmte.

Was haben Sie vor Ihrer Schriftstellerkarriere gemacht?

Yagi: Bevor und während ich diesen Roman geschrieben habe, habe ich tagsüber als Vollzeit-Büroangestellte gearbeitet?

Wie sah Ihr Schreibprozess aus?

Yagi: In der Nähe meines Büros ist eine Bibliothek, in die ich jeden Tag nach der Arbeit gegangen bin, um dort zu schreiben. Es war eine sehr glückliche Zeit für mich, eine Zeit, in der mich die Absurditäten der Firma und die Probleme zu Hause nicht erreichten. Es zählte nur meine eigene Vorstellungskraft.

Das Buch ist lustig, ironisch. Die Protagonistin ist eine aufmerksame, kluge und witzige Beobachterin. Wie viel von ihr steckt in Ihnen?

Yagi: Meine Persönlichkeit, Menschen zu beobachten, spiegelt wahrscheinlich meine Erfahrung wider, als ich vor meiner Ehe alleine lebte. Menschen und Dinge um einen herum zu beobachten, ist das beste Spiel, wenn man alleine ist. Hinzukommt, dass es auch noch kostenlos ist.

In der Mitte und gegen Ende des Buches wird es etwas fantastisch. Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?

Yagi: Mein Redakteur wies darauf hin, dass ich viel bildliche Sprache verwende. Vielleicht schreibe ich in diesem Stil, dass ich, obwohl ich etwas Reales zu sehen scheine, am Ende Assoziationen und Fantasien kreiere. Oder vielleicht unterscheide ich selbst nicht zwischen Realität und Einbildung.

Woher kommt ihr Talent für das Schreiben? 

Yagi: Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt Talent habe.

Wollen Sie weiter Bücher schreiben?

Yagi: Ich würde gerne weiterschreiben. Nun habe ich mein Debüt gegeben, ohne vorher viele Romane geschrieben zu haben. Und jeden Tag frage ich mich, was ich schreiben soll.

Wer sind Ihre Lieblingsautoren? 

Yagi: Aoko Matsuda und Natsuko Imamura.

Hinweis: Dieses Interview wurde schriftlich geführt.

Literatur-Star Emi Yagi: „Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich mich nicht belästigt fühle“ 

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