Julia Dettmer wurde mit 29 Jahren Chefredakteurin von BUNTE.de, einem der führenden digitalen Frauenportale. Im Interview erzählt sie, ob sie schon immer führen wollte, welche Privilegien man genießt und warum die ersten Monate in der Position hart waren.

 

 

Du wurdest mit 29 Jahren Chefredakteurin von BUNTE.de. Wolltest du immer Chefin werden?

Julia Dettmer: Nein. Ich wollte eine erfüllende Arbeit haben und in sinnvollen, effizienten Strukturen arbeiten. Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, war ich immer gerne die Bandenchefin von meiner Mädelsgruppe in der Nachbarschaft. Ich wollte damals nicht, dass es nach mir läuft, aber ich wollte, dass es läuft (lacht). Wenn das bedeutete und heute bedeutet, dass ich meine Ideen in Form einer Leitungsfigur einbringen kann, wunderbar.

Wie kamst du in die Führungsposition?

Wenn ich gemerkt habe, dass ich in einem Job alles gegeben habe und nicht mehr weiterkomme, habe ich mir eine neue Herausforderung gesucht. Dadurch, dass ich mich in meinen Jobs immer weiterentwickelt habe, bin ich automatisch irgendwann in die Führungsposition gerutscht.

Es gibt viele Männer, die wollen unbedingt Chef werden, sie gehen sehr strategisch vor. Wie siehst du das bei Frauen?

Ich glaube schon, dass Männer durch die Historie als Familienoberhaupt und -versorger eher dahingehend geprägt sind, dass sie leisten müssen. Sie haben das Gefühl, dass sie gesellschaftlich und auch innerhalb der Familie unter Druck stehen und wollen dann auch Anerkennung ernten, wenn sie sich hocharbeiten. Das heißt nicht, dass ich diese alten Rollenklischees gutheiße. Ich kann aber verstehen, woher das Gefühl bei vielen Männern kommt, dass sie eine Machtposition anstreben wollen oder sollen. Meiner Meinung nach sind Frauen wegen genau dieses alten Rollenbilds als Hausfrau und Mutter harmoniebedürftiger. Sie wollen, dass das Team funktioniert.

Ich hatte immer den Anspruch, dass das Team mir vertraut, ich dem Team vertraue, wir Entscheidungen gemeinsam diskutieren und auch treffen. Wenn wir alle am selben Strang gezogen haben, weil wir dieselbe Vorstellung von Weg und Ziel hatten, waren wir am stärksten.

Julia Dettmer: „Ich denke bei Führung nicht zuerst an Macht“

Ist es dir schwergefallen, Entscheidungen zu treffen?

Nein, ich kann gut und schnell entscheiden. Und ich hoffe, ich kann gut und schnell erklären, warum ich wie entschieden habe (lacht).

Als Chef muss man sich davon verabschieden, dass alle einen toll finden. Wie bist du damit zurechtgekommen?

Das geht nur, wenn man klar und fair ist und für alle die gleichen Regeln gelten. Regeln sind aber teilweise dehnbar und da jedes Team aus unterschiedlichen Charakteren besteht, kann es da schon krachen. Manche sind sehr genügsam, andere nutzen all ihre Möglichkeiten bis ins Kleinste aus. Durch offene Kommunikation kann man versuchen, auf einen Nenner zu kommen. Wichtig ist Zuhören, sich andere Meinungen anzuhören, auch Kritik.

Wer Chef ist, hat auch Macht. Wie bist du damit umgegangen?

Ich denke bei Führung nicht zuerst an Macht, sondern an Vertrauen und dass man im positiven Sinne gestalten kann. Würde ich Macht so definieren, dass ich mich unbedingt allen anderen überordnen muss, würde das bei mir eine Leere erzeugen. Was habe ich davon, wenn jeder zu mir aufschaut oder sich wegduckt? Anhimmelung und Angst sind sicher nicht das, was ich aus meinen Leuten rausholen will und auch sicher nicht das maximale Potenzial.

Mit einer Führungsposition kommen bestimmte Privilegien, welche waren das bei dir?

Ich hätte ein Firmenauto oder auch ein Einzelbüro haben können, aber das wollte ich alles nicht. Ein Auto brauche ich nicht, weil ich Radfahrerin bin, und ein Einzelbüro hätte mich beim Arbeiten total eingeschränkt, weil ich da viel verpasst hätte. Es war also viel besser, mittendrin zu sitzen. Aber ein gewisses Ansehen habe ich schon genossen, wenn ich gesagt habe, dass wir mit BUNTE.de die reichweitenstärkste Frauenplattform machen. Wenn ich von einem Fremden nach meinem Job gefragt wurde, habe ich aber nicht gleich gesagt, dass ich die Chefredakteurin von BUNTE.de bin, sondern Journalistin.

Warum?

Ich wollte nicht nur über meinen Job definiert werden. Als Chefredakteurin wird man oft gleich total auf diesen Job reduziert, obwohl der nur einen Teil meiner Persönlichkeit ausgemacht hat. Beim ersten Kennenlernen geht es für mich darum, dass man mich als Mensch kennenlernt, wenn das Treffen nicht im beruflichen Kontext stattfindet.

Ex-Bunte.de-Chefin: „Das erste halbe Jahr habe ich 16 Stunden am Tag gearbeitet“

Chefredakteur ist kein Nine-to-five-Job. Wie hast du das erlebt?

Als Online-Chefredakteur arbeitest du für einen Sekunden-aktuellen Newsdienst, die Welt steht nicht still. Jederzeit kann eine News reinkommen, die wir bringen müssen. Da bin ich anfangs gar nicht mehr zur Ruhe gekommen, an jedem Abend und jedem Wochenende war gefühlt irgendetwas.

Wie bist du mit dem Druck umgegangen? 

Das erste halbe Jahr habe ich 16 Stunden am Tag gearbeitet. Ich hatte das Gefühl, ich muss alles kontrollieren. Denn wenn etwas nicht laufen sollte, fällt das auf mich zurück. Mir wurde schnell klar, wenn ich in dem Tempo weitermache, kann ich nach ein paar Monaten mit einem Burnout aufhören. Das hatte schon etwas Selbstzerstörerisches. Als ich das verstanden habe, habe ich einiges umstrukturiert, Verantwortlichkeiten umverteilt, Bereitschaftsdienste anders organisiert und schon ging’s viel besser. Es ist zwar immer noch jeden Abend und an jedem Wochenende irgendwas passiert, aber ich konnte mich darauf verlassen, dass mein Spätdienst/Wochenenddienst-Dienst verantwortungsvoll übernimmt und mich bei Fragen einfach anruft, so dass ich nicht toujours am Handy im Redaktionschat hängen muss.

Was beinhaltet gute Führung für dich?

Du brauchst eine gute Arbeitsmoral, du musst viel arbeiten wollen. Man muss bereit sein, Verantwortung zu übernehmen, nicht nur für das Produkt, sondern auch für die Mitarbeiter. Und man muss Druck aushalten können. Meiner Meinung kannst du auch nur dann gut führen, wenn du dich um die Mitarbeiter kümmerst. Das ist ein Punkt, den viele vernachlässigen, wenn sie Chef werden wollen. Aber das gehört dazu. Am Schluss habe ich 70 Prozent meiner Zeit mit People-Management verbracht.

Deine Entscheidung, den Job als Chefredakteurin zu kündigen und in die Selbstständigkeit zu gehen war doch für viele sicherlich überraschend?

Ja, sicher. Ich habe mich gefragt, was mich erfüllt. Das ist der Journalismus, ich wollte wieder schreiben, Themen entwickeln und vor allem freier arbeiten. In der Zeit, als ich mich entschieden hatte, zu gehen, waren wir am erfolgreichsten. Besser konnte es aus meiner Sicht nicht mehr werden. Das war der perfekte Zeitpunkt für etwas Neues.

Hast du dir bei der Entscheidung Rat von anderen geholt oder machst du das mit dir alleine aus?

Ich habe natürlich mit meinem Mann, Familie und Freunden darüber gesprochen. Aber so eine Entscheidung muss man alleine treffen und dann auch verantworten. Das kann man nicht abwälzen.

Vermisst du deine Zeit als Chefredakteurin?

Ich hab’s geliebt, aber ich vermisse es nicht. Dazu gehe ich viel zu sehr in meiner Mutterrolle und Selbstständigkeit auf. Ich bin einfach nur dankbar, dass ich diese Chance hatte. Ich habe sehr viel gelernt, auch jetzt für meine Selbstständigkeit. Und wer weiß, vielleicht habe ich irgendwann doch mal wieder Lust, ein kleines Team zu leiten.

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Foto: Lisa Hantke

Instagram-Account von Julia Dettmer: @julia.dettmer

Website von Julia Dettmer

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Interview: Ex-BUNTE.de-Chefin über Führung und Macht

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