Rainer Zitelmann ist promovierter Historiker, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Der Bestsellerautor macht sich schon länger um Deutschland Sorgen. Im Interview sagt er, was andere Parteien von den Grünen lernen können und was das Problem bei Politikern ist.

Herr Zitelmann, machen Sie sich um Deutschland Sorgen? 

Rainer Zitelmann: Ich mache mir schon länger um Deutschland Sorgen. Nehmen wir die Energiekrise, die zu hundert Prozent ein Fehlversagen der Politik ist. Erst stellt man Atomkraftwerke ab, macht sich völlig abhängig von russischem Gas, trotz aller Warnungen aus dem Ausland. Dann die Inflation, viele haben sie kommen sehen, ich auch, was an der verhängnisvollen Politik der Zentralbanken liegt. Hinzu kommen die Dauerbaustellen: Die Digitalisierung, bei der Zuwanderung von qualifizierten Leuten haben wir auch noch keine Lösung gefunden. An den Flughäfen herrscht das reinste Chaos. Es ist doch unglaublich: Wir haben rund 2,4 Millionen Arbeitslose und dann finden wir nicht mal 3000 Leute, die am Flughafen arbeiten können. Auch in der Gastronomie fehlen die Angestellten. Ich werfe den Arbeitslosen nicht mal vor, wenn sie lieber vom Staat Geld kassieren. Ideal ist das alles nicht.

Viele fragen sich, wie man sehenden Auges in viele jetzigen Probleme reinschlittern konnte?

Wir haben 16 Jahre Angela Merkel hinter uns. Viele Probleme, die wir jetzt beklagen, wurden von ihr in die Wege geleitet. Jetzt muss man fairerweise sagen, dass im Jahr 2000 die rot-grüne Bundesregierung den Atomausstieg in die Wege leitete. Aber es wurden seit Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 überhaupt keine Reformen mehr durchgeführt und die Agenda 2010 wird jetzt quasi rückabgewickelt. Woran liegt das? Viele Politiker richten sich nach Umfragen und dem medialen Echo. Ich erwarte von der Politik etwas anderes. Politiker sollen nicht Umfragen und Medien hinterherlaufen. Sie sollen das tun, was in der Sache richtig ist, auch wenn es dafür noch keine Mehrheit gibt. Gerhard Schröder hat sich mit seinen Reformen damals in seiner Partei überhaupt nicht beliebt gemacht. Er hat sich nicht nach Mehrheiten und Umfragen gerichtet, sondern das von ihm richtig Erkannte umgesetzt. Ein anderes Beispiel wäre Helmut Schmidt: Der hatte bei der Zustimmung zum NATO-Doppelbeschluss überhaupt keine Mehrheit.

Sie sind FDP-Mitglied, was hören Sie so aus der Partei?

Nehmen wir den Atomausstieg, ich bin schon seit Jahren für einen Ausstieg vom Ausstieg. Viele in der FDP-Partei halten den Ausstieg auch für falsch. Jetzt sind die FDP und auch die CDU erfreulicherweise für eine Laufzeitverlängerung, weil jetzt aber auch eine Mehrheit der Bevölkerung dafür ist. Aufgabe einer liberalen Partei ist doch nicht, den Leuten hinterherzulaufen, sondern sie sollen vorausgehen und sich nicht opportunistisch anpassen. In der Hinsicht können sie viel von den Grünen lernen – nicht von den Inhalten, aber von der Art. Die Grünen kommen nicht mit dem Argument, dafür gibt es keine Mehrheit. Sie kämpfen konsequent für ihre Überzeugungen.

Sie sagten, dass Sie sich von Politikern auch einmal eine Entscheidung wünschen, die unpopulär ist. Was aber eher auffällt, sind die vielen Angebote, welche die Politik den Bürgern macht, wie das 9-Euro-Ticket oder den Tankrabatt

Die Begehrlichkeiten werden immer größer, die Forderungen immer lauter, damit erzeugt man eine Anspruchshaltung. Es geht in der Politik darum, an wen man die nächste Wohltat verteilen kann, damit es wieder mehr Stimmen bei der nächsten Wahl gibt. Wenn die Anspruchshaltung lautet, dass es der Stadt richten soll, passt sich die Politik an. Sie bietet Scheinlösungen für Probleme, die sie selbst geschaffen hat. Wenn der Arzt nicht bohrt, sondern nur ein Schmerzmittel verabreicht, beseitigt das auch nicht den grundlegenden Schmerz.

Was müssten Politiker anders machen? 

Ein Problem ist, dass viele Politiker keinen Wirtschaftsbezug haben. Kevin Kühnert hat zwei Studiengänge abgebrochen. Andrea Nahles hat 20 Semester Germanistik studiert, ihr Magister schrieb sie zum Thema „Die Funktion von Katastrophen im Serien-Liebesroman“. Für einen Job in der Wirtschaft hat es nach ihrer politischen Laufbahn offenbar nicht gereicht, jetzt wird sie neue Chefin der Bundesagentur für Arbeit.  Nicht nur in der SPD, in allen Parteien findet man Politiker, die nie in der Wirtschaft gearbeitet haben. Ricarda Lang von den Grünen hat ihr Jurastudium abgebrochen. Ein positives Beispiel, auch wenn ich nicht mit allem, was er sagt und macht, einverstanden bin. Der FDP-Justizminister Marco Buschmann hat mit Summa com laude in Jura promoviert, danach arbeitete er sehr erfolgreich in einer Rechtsanwaltskanzlei.

Wie bewerten Sie die Arbeit der FDP in der Koalition?

Während der Koalitionsverhandlungen haben sie keinen schlechten Job gemacht, weil sie vieles verhindert haben. Die Einkommenssteuer wurde nicht erhöht, die Vermögenssteuer nicht eingeführt. Nur: Eine Partei kann nicht davon leben, dass man sagt, man hat das Schlimmste verhindert. Ich halte es für einen Fehler, wenn sich die FDP damit brüstet, dass man jedes Jahr das Geschlecht neu auswählen kann, auch wenn ich nichts dagegen habe. Hier kann die FDP wieder von der SPD und den Grünen lernen, weil sie ständig ihre eigenen Themen forcieren, unter anderem den Ruf nach Steuererhöhungen. Die FDP ist zu bescheiden, zu zaghaft. Das birgt auch die Gefahr, dass sie viele Wähler an die CDU verlieren, die unter Merz nun versucht, mehr wirtschaftspolitische und bürgerliche Akzente zu setzen.

Allerdings ist Herr Lindner gerade in aller Munde wegen seiner Verbindungen zu Porsche-Chef Oliver Blume, der jetzt CEO von Volkswagen wird

Das war ja vollkommen absurd, Lindner seine vermeintlich guten Beziehungen zu Deutschlands Schlüsselindustrie vorzuwerfen. Gerade die SPD sollte beim Thema Lobbyismus ganz ruhig sein. Mehr Lobbyismus von Gazprom, wenn man an Manuela Schwesig denkt, geht doch gar nicht. Auch das grüne Lager mit seinem Öko-Lobbyismus ist nicht besser. Und dass Lindner angekreidet wurde, dass er seine Hochzeit nicht in einer Pizzeria feierte, sondern auf Sylt, da kam wieder der Sozialneid heraus.

Die Grünen, besonders Habeck und Baerbock kommen sehr gut bei der Bevölkerung an 

Das hat meiner Meinung nach auch viel mit den Journalisten zu tun, unter denen es sehr viele grüne und linke Sympathisanten gibt. 2020 gab es eine Umfrage unter Volontären des Ersten, wonach 92 Prozent angaben, Rot-Rot-Grün zu wählen. Man kritisiert immer den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, auch wenn er aus meiner Sicht auch nicht besser ist als RTL, Sat. 1 oder ntv. Die Printmedien sind noch ausgewogen, da kommen auch andere Meinungen zu Wort.

Sie sind sehr aktiv auf Twitter. Wie gehen Sie mit Kritik um?

Kritik bekomme ich auch, ich lese das zum Teil gar nicht, sonst verdirbt man sich nur die Laune. Ich war früher mal ganz links, da drückte man sich noch gewählt aus. Durch die sozialen Medien hat sich das sehr verändert: Es gibt viel primitive Sprache, sie ist voll von Rechtschreibfehlern. Kritisiert werde ich nicht nur von ganz links, sondern auch von ganz rechts, wenn es um das Impfen geht oder ich die AfD kritisiere. Ich finde auch immer wieder die Reaktionen interessant, wenn ich meine Bücher bewerbe. Ein Titel von mir lautet „Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“. Dann heißt es, wie schlecht das Buch sein muss, dabei hat derjenige es gar nicht gelesen. Nur der Titel stört die Person. Ich verstehe nicht, warum Menschen nur Bücher oder Artikel lesen, die sie bestätigen anstatt auch mal etwas zu lesen, das gegen die eigene Meinung geht. Ist es Unsicherheit? Könnte man durch die eigene Meinung beirrt werden? Ich weiß es nicht.

Was sollte sich ändern? 

Wir bräuchten eine Neuauflage der Agenda 2010, eine Reform im Steuerrecht, Änderungen bei der Liberalisierung vom Arbeitsmarkt. Beim Wiedereinstieg in die Atomenergie bräuchten wir eine langfristige Strategie. Ebenso könnten wir viel Geld sparen, wenn wir keine Förderprogramme mit linker Ideologie fördern. Es gibt viel zu tun, ich bin allerdings nicht optimistisch, dass etwas passiert. Ich war nach den Wahlen ja schon froh, dass es keine rot-rot-grüne Regierung geworden ist. Sonst hätte ich mir ernsthaft überlegt, ob und wohin ich auswandere. Ich lebe gerne hier, habe einen großen Freundeskreis, gute Netzwerke, mich zieht es eigentlich nicht aus Deutschland weg.

Welche Länder wären eine Option für Sie? 

Ich spreche nur Englisch, deswegen kommen nur deutsch- und englischsprachige Länder in Betracht. New York hatte ich überlegt, dort besitze ich zwei vermietete Immobilien, London wäre auch eine Option. Aber mir fällt in jeder Stadt etwas ein, was mir nicht gefällt (lacht). Australien ist zu weit weg. Kanada war ich noch nie, aber da würde mir das Wetter nicht so zusagen. Ich mag die Schweiz und Österreich, aber die Länder sind doch sehr klein. Zum Glück muss ich so eine Entscheidung noch nicht treffen (lacht).

Homepage von Rainer Zitelmann

Life behind the Berlin Wall“ (ganzer Film auf Youtube): Dieser Film, unter anderem mit Rainer Zitelmann, wurde auf dem Freedom Fest in Las Vas Vegas gezeigt und wurde mit einem Preis ausgezeichnet. Es geht darin um Menschen, die auf beiden Seiten der Berliner Mauer lebten. Man erfährt, warum Menschen bereit waren ihr Leben zu riskieren, um aus Ostberlin zu fliehen.

„Aufgabe einer liberalen Partei ist nicht, sich opportunistisch anzupassen“

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2 Gedanken zu „„Aufgabe einer liberalen Partei ist nicht, sich opportunistisch anzupassen“

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